SIEGFRIED WALENDY IN DER SOWJETUNION - DIE ERSTE LP DER PUHDYS

SIEGFRIED WALENDY IN DER SOWJETUNION - DIE ERSTE LP DER PUHDYS

Seit einigen Wochen kursieren Rezensionen der Puhdys-Platten eines (vermutlich) tschechischen Online-Magazins im Netz, die ich streckenweise sehr befremdlich fand. Aber da man über Geschmack nicht streiten kann, sei jedem überlassen, wie er die unterschiedlichen Schaffensphasen der wohl berühmtesten DDR-Rock-Band wahrnimmt und bewertet. Auf jeden Fall hat mich das Ganze dazu bewegt, mir meinen Puhdys-Fundus reinzuziehen und die Alben zu kommentieren.

Die erste LP mit Puhdys-Beteiligung war 1973 das bei Melodija in der Sowjetunion erschienene Album Зигфрид Валенди. Das ist keineswegs ein kryptischer Code, sondern die kyrillische Schreibweise des DDR-Schlagersängers Siegfried Walendy. Der soll damals in der UdSSR ein Super-Star gewesen sein. Millionen von Schallplatten habe er dort verkauft. Kunststück bei der Bevölkerungszahl der Sowjetunion. 1973 waren die Puhdys nach ihrer ersten erfolgreichen Konzertrundreise von 1972 erneut auf SU-Tour. In dieser Zeit entstand die Platte in einem Moskauer Studio. Sie wurde nach Angaben aller Beteiligten live eingespielt. Das möchte man durchaus glauben. Vor allem, wenn man in „Колыбельная (Wiegenlied)“ hört, dass Walendy mit seinem Gesang mindestens zweimal voll neben der Spur liegt. Hätte es mehrere Takes gegeben, hätte der Sänger garantiert darauf bestanden, das noch einmal einzusingen. Rumpelig geht es im instrumentalen Teil von “за того парня (Für diesen Kerl)“ zu, wo Orgel- und E-Gitarren-Effekte überambitioniert klingen.

Die Puhdys orientierten sich damals ja bekanntlich vor allem an den härteren Westvorbildern, die aus dem Hard Rock und sich gerade entwickelnden Heavy Metal kamen: Uriah Heep, Deep Purple, Nazareth … Auf der Siegfried-Walendy-LP mussten sie sich allerdings dem Schlagerdiktat unterwerfen und – wenn man ehrlich ist – scheitern grandios. Aber das nicht etwa aus Unfähigkeit, oder weil ihnen womöglich die Live-Mitschnitt-Methode nicht behagt hätte. Keineswegs. Vielmehr spielten die Puhdys die Songs mir Rock-Fäusten. Man muss sich einen Schmied vorstellen, der einen Bindfaden einfädeln soll. Oder einen Holzfäller, der ein Uhrwerk zu reparieren hat.

Den Puhdys fehlt die Ufftata-Leichtigkeit völlig. Gunther Wosylus bearbeitet sein Schlagzeug viel zu wuchtig, Harry Jeskes Bass donnert durch die Songs. Den Gitarristen Dieter Birr und Dieter Hertrampf ist anzuhören, dass sie fast geplatzt wären – so sehr mussten sie sich bremsen. Mal dröhnt die Rhythmusgitarre verhalten, wie man es wenig später in zehnfacher Potenz auf dem Puhdys-Debüt hören würde. Auch wird mal ein kurzes Solo gegniedelt, wie es für Schlagermusik sehr ungewöhnlich war. Da hat es Peter Meyer mit seiner Orgel noch am leichtesten, wenn er Melodieteppiche weben soll. Aber auch er denkt in Rock-Maßstäben.

Und so ist uns ein musikalisches Kleinod vermacht worden, auf dem Hard-Rocker Schlager spielten. Es ist wirklich sehr interessant und unbedingt unterhaltsam, den einzelnen Puhdys-Mitgliedern bei ihrer Arbeit zuzuhören. Walendy war für seine Zeit auch ziemlich gut – trotz der schiefen Töne. Die Songauswahl ist für Rock-Fans etwas schwierig zu verkraften, aber bekanntlich sollen eine Menge Freunde harter Klänge längst die Qualitäten von Schlager- und Pop-Musik entdeckt haben. Ein paar Beispiele: “Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ von Jürgen Marcus oder Graham Bonneys “Papa Joe“, die deutsche Version von “Poppa Joe“, einem der frühen Hits von Sweet. Dann gibt es innerhalb eines “Potpourris“ ein bisschen “Mademoiselle Ninette“ von den Soulful Dynamics oder an anderer Stelle Gospel mit “He's Got The Whole World In His Hands“. Walendy hat auch Eigenes zu bieten, und er singt immer wieder Russisch.

Puhdys-Fans müssen diese Platte haben. Das steht außer Frage. Ob Schlager-Fans ausgerechnet Siegfried Walendy kaufen, der von den ostdeutschen Puhdys begleitet wird, steht auf einem anderen Blatt. Aber vermutlich ist die Suche nach einer Käuferschicht auch gar nicht mehr so wichtig, ist der musikhistorische Wert dieser LP doch unschätzbar. JUB
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